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Deutschland Ex-Bundespräsident

„Ermittler haben jedes menschliche Maß verloren“

Korrespondent
Die Staatsanwaltschaft hat Christian Wulff angeboten, das Verfahren gegen ihn gegen Zahlung einer Geldbuße einzustellen. Doch Wulff schweigt dazu. Kein Wunder. Er hält das Angebot für eine Zumutung.

Christian Wulff schweigt. Kein öffentliches Wort in eigener Sache von ihm, von seinen Anwälten zum Angebot der Staatsanwaltschaft Hannover, die gegen ihn und den Filmproduzenten David Groenewold gerichteten Ermittlungen gegen Zahlung zweier Geldbeträge einzustellen. Kein Wort.

Es weiß ja ohnehin jeder in Hannover, auch in der politischen Szene des Landes, dass Wulff dieses „Angebot“ der Justiz für eine Zumutung hält. Für ihn, den jäh Gestürzten, zählt nur der Freispruch. Wulff, der sich im strafrechtlichen Sinne für absolut unschuldig hält, will, wie FDP-Präsidiumsmitglied Wolfgang Kubicki es im Gespräch mit der „Welt“ ausdrückt, die „vollständige Rehabilitierung“. Die aber hat die Staatsanwaltschaft Hannover nicht zu bieten. Ihr Sprecher Hans-Jürgen Lendeckel lässt wenig Zweifel daran, dass sein Haus das Verfahren gegen Wulff eher aus Mitleid als aus Einsicht einstellen möchte.

Per „Hannoverscher Allgemeiner Zeitung“ hat die Behörde Wulff und die Öffentlichkeit wissen lassen, dass sie zwar weiterhin einen „hinreichenden Tatverdacht“ hege, Christian Wulff aber durch die wegen der Aufnahme der Ermittlungen erlittenen erheblichen „sozialen und beruflichen, gesellschaftlichen und persönlichen Nachteile“ für hinreichend bestraft halte.

Nur deshalb, so sieht man es innerhalb der niedersächsischen Justiz, sei jene nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung zulässige Ausnahme möglich, trotz hinreichenden Tatverdachts auf eine Anklage gegen Wulff und Groenewold wegen Bestechung und Bestechlichkeit, auch wegen Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung zu verzichten. Allerdings bedürfe es im Falle Wulffs dazu außerdem noch einer Geldzahlung von 20.000 Euro sowie der schriftlich fixierten Übernahme „strafrechtlicher Verantwortung“.

Ermittler sehen einen guten Deal für die Beschuldigten

Wulff sagt zu alledem nichts. Seine Verteidiger, der Hannoveraner Strafrechts-Professor Michael Nagel und der Bonner Korruptionsexperte Professor Bernd Müssig aus der Kanzlei des Wulff-Vertrauten Gernot Lehr, werden zum 5. April eine Erwiderung auf das Angebot der Staatsanwaltschaft verfassen – eine schlichte Einverständniserklärung dürfte nicht dabei herauskommen. Dazu bewerten beide Parteien, Ermittler wie Wulff-Anwälte, den bisherigen Verlauf des Verfahrens viel zu unterschiedlich.

Die Staatsanwälte nehmen für sich in Anspruch, Christian Wulff so behandelt zu haben wie man alle anderen Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes auch behandelt hätte, bei denen so deutliche Hinweise auf die Verquickung von Beruflichem und Privatem aufgetaucht wären.

Wulff stand mit Groenewold sowohl beruflich als auch privat in Kontakt; es gab Indizien dafür, dass Wulff von Groenewold auf der einen Seite private Einladungen bekommen hatte, ihm auf der anderen Seite beruflich, zum Beispiel mit seinem Einsatz für den Groenewold-Film „John Rabe“, weiterhalf. Dieser erste Eindruck, keine Frage, konnte entstehen – für die Staatsanwaltschaft haben die 14-monatigen Ermittlungen ihn auch nicht hinreichend widerlegt. Sie sieht vielmehr die Wahrscheinlichkeit, dass es im Falle eines Prozesses zur Verurteilung kommt, bei ziemlich genau 50 Prozent.

Dabei spielt es für die Juristen keine Rolle, dass am Ende dieser Ermittlungen, als Wulffs Vorteil aus dieser möglichen Bestechung, strafrechtlich nachweisbar höchstens karge 770 Euro zu Buche schlagen. Wie hoch der Betrag ist, für den sich ein öffentlich Bediensteter bestechen lässt, spielt bei der Frage nach Schuld oder Unschuld für die Justiz keine Rolle. Als „Bagatellverfahren“, eine Lappalie, als die manche Juristen den Fall Wulff einstufen, sieht man das Verfahren bei der Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht. Verniedlichung, so heißt es in Hannover, gehöre in Korruptionsfällen ebenso zum Alltag wie der Verweis auf die langjährigen freundschaftlichen Beziehungen zweier Beschuldigter.

Unterm Strich also, so sehen es die niedersächsischen Ermittler, wäre der Verzicht auf einen langwierigen Prozess für die Beschuldigten ein ziemlich guter Deal; die bei einer Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung geforderte Geldzahlung von 20.000 Euro (Wulff) und 30.000 Euro (Groenewold) im Vergleich zu den andernfalls auf die beiden Angeklagten zukommenden Prozesskosten ein echter Pappenstiel.

Keine handfesten Beweise, nur Indizien

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In Wulffs Lager sieht man das gänzlich anders. Fritz Brickwedde, ein enger Freund Wulffs aus Osnabrücker Tagen und Vorsitzender der dortigen CDU-Ratsfraktion, hat das in diesen Tagen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ so ausgedrückt: „Die Staatsanwaltschaft hat einen Bundespräsidenten gestürzt, um nun mit leeren Händen dazustehen.“ Die Behörde habe bei ihren Ermittlungen „jedes menschliche Maß“ verloren, die jetzt vorgeschlagene Einstellung des Verfahrens nach Paragraf 153a sei der Versuch der niedersächsischen Behörde, „halbwegs ohne Gesichtsverlust“ davonzukommen. „Ich kann Christian Wulff nur raten, ein solches Angebot abzulehnen.“

Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen, dass der frühere Bundespräsident die Dinge ähnlich sieht. Abgesehen davon, dass es für ihn wie für jeden deutschen Ministerpräsidenten die pure Selbstverständlichkeit und bloßer Alltag gewesen ist, niedersächsische oder mit Niedersachsen verbundene Unternehmen zu unterstützen, hält er sich natürlich für unbestechlich. Die Unterstellung, er habe anderen als Gegenleistung für ein paar Hotelübernachtung oder für einen Besuch auf dem Münchner Oktoberfest Vorteile verschafft, ist für ihn abenteuerlich, ungeheuerlich. Aber ungeheuerlich ist eben keine juristische Kategorie.

Die Tatsache, dass die Ermittler in Hannover bisher keine handfesten Beweise für ihre Beschuldigung vorweisen können, nur Indizien, dagegen schon. Nicht nur Wolfgang Kubicki ist sich sicher, dass die Staatsanwälte mit einer Klageerhebung am Ende scheitern würde. Damit stünde Wulff strafrechtlich nicht nur mit blendend weißer Weste da, er würde auch zumindest einen Teil der mit dem Verfahren verbundenen erheblichen Anwaltskosten vom Staat ersetzt bekommen.

Zwei Auftritte im Frühjahr

Dass ihn das Verfahren, allem Ehrensold zum Trotz, selbst im für ihn besten Fall an den Rand der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit bringen dürfte, steht auf einem anderen Blatt. Dort finden sich auch die Wut und der Ärger über die Nebengeräusche dieses Prozesses. Über die Details aus seinem Privatleben, die die Ermittler nicht schützen konnten. Über die öffentlichen Kommentare der Staatsanwaltschaft zu dem eigentlich vertraulichen Einstellungsangebot, die dazu geführt haben, dass eine Einigung ohne Gesichtsverlust für diese oder jene Seite kaum noch möglich erscheint.

Voraussichtlich am 9. April, einem Montag, werden es die Wulff-Verteidiger und die Staatsanwälte dennoch versuchen. Für dieses Datum hat die Behörde zu einem klärenden Gespräch geladen. Christian Wulff selbst wird sein Schweigen womöglich erst im Mai beenden. Für diesen Monat hat er seine nächsten öffentlichen Auftritt geplant. Bei der Jahrestagung der deutsch-japanischen Gesellschaften in Hannover will er laut Tagesordnung aufzeigen, „welche Potenziale die gegenwärtige und künftige Gestaltung“ der Beziehungen zwischen diesen Ländern hat.

14 Tage später hat er sich bei einem Kongress in Luzern angesagt. Sein Thema dort: Politik und Medien. Vielleicht kann er an diesem Tag endlich sein Schweigen brechen und die Dinge aussprechen, die ihm seit 14 Monaten auf der Seele liegen.

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